“Am Ende des Tages ist es auch "nur" ein Job, der das Leben nicht zu sehr bestimmen sollte!”
03. August 2023Wann hast du dich für die Wissenschaft entschieden bzw. wann ist dir klar geworden, dass du Professorin werden möchtest?
Bei mir hat das ehrlich gesagt recht spät begonnen. Ich bin die erste in meiner Familie, die aufs Gymnasium gegangen ist und hatte somit nicht viel Ahnung von Universität. Ich weiß manchmal gar nicht mehr, wie ich das BA- und MA-Studium geschafft habe, da die Universität anfangs ein fremder Ort für mich war, an den ich mich erstmal gewöhnen musste. Mir kam damals auch gar nicht in den Sinn, wissenschaftliche Hilfskraft an einem Lehrstuhl zu werden, geschweige denn Wissenschaft als Beruf zu sehen.
Rückblickend gesehen war mein Weg in die Wissenschaft geprägt von verschiedenen Zufällen und ein paar richtigen Entscheidungen. Zum Beispiel entschied ich mich dazu, meinen Bachelor etwas länger als in Regelstudienzeit zu machen, um noch mehr und teils auch andere Seminare als meine Kommilitoninnen und Kommilitonen zu belegen, um mehr zu lernen. In dieser Zeit lernte ich meinen späteren Doktorvater kennen, der mir eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Lehrstuhl anbot. Dies führte dann u.a. auch dazu, dass ich den Master machte und im Rahmen des Hiwi-Jobs an einer Publikation mit ihm und einer anderen Co-Autorin arbeitete und somit einen tieferen Einblick in wissenschaftliches Arbeiten erhielt. Während meines Masters fragte er mich, ob ich bei ihm promovieren wollte – ein Angebot, dass ich – auch dank einer freien Doktorandenstelle – gerne annahm. Während der Promotionsphase wurde mir klar, dass ich in der Wissenschaft bleiben möchte.
Hattest du einen Plan B?
Mir war immer klar, dass ich Wissenschaft sehr gerne machen will. Jedoch habe ich die Wissenschaft als solche nicht verabsolutiert und mir daher auch Grenzen gesetzt: Zum einen habe ich den geographischen Rahmen eingeschränkt und mich somit nicht in jeder Stadt und jedem europäischen Land auf Professuren beworben. Zum anderen habe ich mir auch eine Altersgrenze gesetzt und mir vorgenommen, bis Ende 30 eine unbefristete Stelle zu bekommen. In der Rückschau stelle ich fest, dass glücklicherweise oft das Timing während meiner akademischen Laufbahn gestimmt hat: ich habe direkt nach meinem Masterstudium eine Doktorandenstelle bekommen, im Anschluss an meine Promotion eine Post-Doc-Stelle in einem Forschungsprojekt in Bern und nach drei Jahren Post-Doc den Ruf auf eine Assistant Professur an der Universität in Süddänemark (University of Southern Denmark) bekommen.
Du hast in Deutschland studiert, in der Schweiz promoviert und in Dänemark deine Professur bekommen. Du hast somit drei verschiedene Wissenschaftssysteme kennengelernt. Welche Gemeinsamkeiten, welche Unterschiede hast du feststellen können?
Die einzige Gemeinsamkeit, die alle drei Universitäten verbindet, ist die methodische, quantitativ-empirische Ausrichtung. Abgesehen davon unterscheiden sich die drei Systeme ansonsten sehr. Drei Aspekte sind hierbei hervorzuheben: Zum einen gibt es das Lehrstuhlsystem in dieser Form nur in Deutschland und in der Schweiz. Dagegen zeichnen sich die Universitäten in Dänemark durch eine Department-Struktur aus, an der man als Professorin angestellt ist. Das heißt auch, dass man in Dänemark kein Personal, d.h. weder eine Sekretärin noch wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, hat. Das erleichtert zum einen einiges, da man sich u.a. nicht um Personal kümmern muss, erschwert aber auch manchmal die Arbeit, da man für alle administrativen Aufgaben selbst verantwortlich ist. Zum anderen muss man in Deutschland viel mehr lehren als in Dänemark und auch mehr als in der Schweiz. In Dänemark hat man zum Beispiel ein Lehrdebutat von 500h pro Semester. Außerdem ist das System in Deutschland u.a. auch durch die Lehrstuhlstruktur deutlich hierarchischer aufgebaut als in Dänemark und auch in der Schweiz. In Dänemark sprechen sich zum Beispiel alle mit Vornamen an, keiner verwendet hier den Professorentitel.
Welches war eine der größten Herausforderungen deiner akademischen Laufbahn? Und wie hast du diese gemeistert?
Persönlich herausfordernd fand ich die Feststellung, dass Wissenschaft ein kompetitives System ist, in dem jede bzw. jeder gegen jeden arbeitet. Wenn einer den Grant bekommt, heißt es, dass andere ihn nicht bekommen – selbst wenn sie dafür gut qualifiziert sind. Trotz allem sollte man sich für den, der den Grant gewinnt, freuen – schließlich sind wir alle eine große Community und sollten zusammenstehen. Aufgrund des Wettbewerbs habe ich mich eine lange Zeit in meinem Leben ziemlich gestresst und mich stark mit anderen verglichen. Ich fand jedoch den Gedanken hilfreich, dass Wissenschaft am Ende des Tages auch „nur“ ein Job ist. Ich mag meinen Beruf sehr, aber ich mache davon nicht (mehr) mein persönliches Glück abhängig. Grants oder auch Publikationen sollten das Leben im Allgemeinen und das eigene Selbstwertgefühl im Besonderen nicht zu sehr bestimmen.
Im Laufe der Zeit hat sich diese Kultur bzw. diese Mindset jedoch verändert. Insbesondere die neue Generation legt deutlich mehr Wert auf Teamarbeit und ein Miteinander. Im Gegensatz zu früher richtet sich der Fokus daher auch nicht mehr nur auf Alleinautorenschaften, sondern es ist viel üblicher, mit anderen zusammen zu publizieren.
Du bist Mutter eines Sohnes. Wie vereinbarst du Familie und Wissenschaft?
Ich habe mir ehrlich gesagt recht wenig Gedanken darüber gemacht. Für mich war die Familiengründung nicht oberste Priorität. Es hat sich bei mir einfach so gefügt. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich zu dem damaligen Zeitpunkt hier in Dänemark eine Associate Professur und Tenure hatte. Außerdem lebte ich in einem Land, in dem es bekanntlich eine sehr gute Infrastruktur für Kinderbetreuung gibt und dass darüber hinaus auch Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf legt. Meetings ab 15.00 Uhr sind selten, da alle wissen, dass man ab diesem Zeitpunkt seine Kinder aus der Kita abholt. Im Vergleich zu anderen Ländern ist es hier außerdem gesellschaftlich vollkommen akzeptiert, dass Frauen arbeiten. Hier wird man dagegen eher abgewertet, wenn man mit den Kindern zuhause bleiben möchte.
Es gibt meines Erachtens keinen perfekten oder besten Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen. Es kommt vielmehr auf viele verschiedene Faktoren wie den Partner oder auch die Infrastruktur an. In der Schweiz zum Beispiel ist das System deutlich schlechter was die Kinderbetreuung betrifft, da hätte ich ungern ein Kind neben einer Professur haben wollen.
Bei mir war es damals so, dass ich sechs Monate und somit nicht die gesamte Elternzeit in Anspruch genommen, da ich die Deadline eines Antrags wahrnehmen wollte. Denn die nächste Deadline wäre erst im nächsten Jahr gewesen. Da mein Ehemann damals selbständig war, hatte er kaum Anspruch auf Elternzeit. Als Angestellter hätte er jetzt sechs Monate Elternzeit nehmen können – bei vollem Gehalt. Nach sechs Monaten haben wir unseren Sohn in die Kita geschickt und ich begann, wieder Vollzeit zu arbeiten. Rückblickend gesehen hätte ich es besser gefunden, einen etwas softeren Übergang zwischen diesen beiden Phasen gehabt zu haben. Man war ja zuerst 100% auf Elternzeit und anschließend 100% Professorin. Ich wäre daher lieber langsamer wieder auf 100% gegangen und hätte zuerst zwei bis drei Tage die Woche gearbeitet.
Welchen Ratschlag würdest du gerne Nachwuchswissenschaftlerinnen geben?
Ich würde dazu raten, sich auf diesem Weg nicht aufhalten zu lassen, alles zu versuchen und sich auf verschiedene Stellen und Professuren zu bewerben. Wenn man es nicht versucht und sich nicht bewirbt, kann man es nicht schaffen. Außerdem finde ich es wichtig, die Wissenschaft im Allgemeinen und die Professur im Besonderen am Ende des Tages als ein Job zu sehen, der das Leben nicht zu sehr bestimmen sollte – auch wenn man mit viel Herzblut dabei ist. Vor Kurzem habe ich außerdem den guten Tipp bekommen, den Tag mit Aufgaben zu beginnen, auf die man Lust hat. So sammelt man positive Energie, die man für die anschließenden Aufgaben, die einem weniger Freude bereiten, gut gebrauchen kann. Dies versuche ich gerade umzusetzen.