“Stellen Sie niemals Ihre eigenen Interessen zurück und hören Sie auf Ihre inneren Impulse”
02. Dezember 2020Frau Assmann, Sie waren über 20 Jahre lang Professorin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz und hatten u.a. auch Gastprofessuren an der Universität Yale sowie an der Universität Princeton inne. Welche Aspekte schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders? Und welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig, um als Professorin erfolgreich zu sein?
Zwei Dinge schätze ich an meinem Beruf besonders: ich darf mich mit Texten und Themen beschäftigen, die mir viel bedeuten, und ich habe die Chance, beides mit nachwachsenden Generationen zu diskutieren, die dafür nicht nur Interesse, sondern auch neue Ideen, eigene Perspektiven und Erfahrungen mitbringen.
Sie sind eine international anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung und haben dieses wie kaum eine andere Wissenschaftlerin geprägt. Wie haben Sie sich als Frau in diesem doch eher männerdominierten Feld behauptet?
Ich glaube nicht, dass ich mich in dem eher männerdominierten Feld behauptet hatte. Es gab immer männliche Kollegen, die mich anerkannten, gefördert und einbezogen haben. Aber das Feld bleibt männlich dominiert und es gibt immer wieder Kontexte, in denen einem das leider sehr bewusst wird. Wie oft muss ich die Rolle der Quotenfrau spielen. Von Selbstverständlichkeit kann da keine Rede sein.
Sie haben in Ihrer akademischen Laufbahn zahlreiche, international anerkannte Preise gewonnen, u.a. den Karl-Jaspers-Preis, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sowie vor Kurzem auch den Orden pour le mérite. Gab es eine Auszeichnung, die Ihnen besonders viel bedeutet? Und wenn ja, weshalb?
Was mir besonders viel bedeutet, sind die Auszeichnungen, die uns als Ehepaar verliehen wurden. Das ist absolut neu und einmalig und so wichtig, wenn man denkt, wie viele akademische Paare es heute gibt! Die fallen aber durchs Gender-Raster. Meist kann sich da nur einer / eine durchsetzen. Dabei spielt die Wissenschaft als Teil einer Lebensgemeinschaft bei uns doch eine immer wichtigere Rolle. Das ist eine absolute Innovation, wenn man an die früheren Generationen und die Vorstellung von Genderrollen in der Ehe denkt.
Welches war für Sie persönlich die größte Herausforderung in Ihrer akademischen Laufbahn? Und wie haben Sie diese gemeistert?
Die größte Herausforderung bei weitem war, mich in einer rein männlichen Fakultät (es gab nur eine Frau im Publikum, die sich noch gut daran erinnert, wie sie mir viel später mitteilte) zu habilitieren. Diese Atmosphäre hätte feindlicher, schärfer und erniedrigender nicht sein können. Eine Woche vor mir war ein junger männlicher Kollege aus meinem Fach mit starkem Rückenwind durchgewunken worden. Zum Glück wendete sich das Blatt, als ich von der traditionellen Großuniversität an eine kleine moderne Reformuniversität wechselte.
Mit Ihrem Mann Prof. Jan Assmann haben Sie intensiv zusammengearbeitet und gemeinsam viele Preise erhalten. Außerdem haben Sie fünf Kinder. Wie haben Sie als erfolgreiches Wissenschaftspaar Familie und Beruf vereinbart?
Es musste halt beides Platz haben. Ich komme aus einer Familie mit 5 Kindern, es kam mir nicht in den Sinn, auf Kinder zu verzichten, aber es kam mir ebenso wenig in den Sinn, auf die Wissenschaft zu verzichten. Das hat mir schon meine Mutter vorgemacht, die nach Promotion und Beruf alles an den Nagel hängte, als sie eine Familie gründete, aber sich innerlich nie von ihren Interessen und Anliegen verabschiedet hat, die sie mit meinem Vater teilen konnte.
Nun die letzte Frage: Gibt es einen Tipp, den Sie Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen der Sozial- und Geisteswissenschaften gerne geben möchten?
Niemals die eigenen Interessen und Anliegen zurückstellen, sondern auf die inneren Impulse hören. Es ist zwar sehr stressig, vieles verbinden zu wollen und manches kommt dabei zu kurz, aber man braucht seine Freiräume. Zum Glück gibt es heute dafür mehr soziale Anerkennung und auch mehr praktische Unterstützung.