“Es mangelt nicht unbedingt an Vorbildern”
17. August 2020Frau Dr. Mauk, Sie haben Politikwissenschaft und Publizistik studiert und anschließend im Bereich Einstellungsforschung promoviert. Nun arbeiten Sie als Post-Doc bei GESIS, dem Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Hatten Sie schon immer vor, in die Wissenschaft zu gehen?
Ursprünglich wollte ich Journalistin werden, habe diese Idee aber dann verworfen. In die Wissenschaft bin ich vielmehr reingerutscht. Im zweiten Semester wurde mir eine Hiwi-Stelle im Bereich Einstellungsforschung angeboten. So kam ich zu dem Feld, in dem ich später dann promoviert habe und in dem ich auch jetzt noch aktiv bin. Mein Interesse ist somit schon früh geweckt worden. Nach meinem Studienabschluss war eine Promotionsstelle in diesem Bereich ausgeschrieben, auf die ich mich dann bewarb und sie glücklicherweise auch bekam. Zum Ende meiner Diss wurde mir klar, dass ich nicht an der Uni, aber weiterhin im forschungsnahen Bereich arbeiten wollte. Bei GESIS war dann eine Post-Doc Stelle ausgeschrieben – und wie Sie sehen hat das dann auch gut geklappt.
Sie hatten von Ihrer Promotion kurz gesprochen. Unter welchen Bedingungen haben Sie damals promoviert?
Während der Promotion arbeitete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni und gab auch einige Lehrveranstaltungen. Rückblickend gesehen sind das optimale Promotionsbedingungen. Denn als MitarbeiterIn an der Uni hat man viel Austausch mit anderen und ist eingebunden in den Unialltag. Ich stelle es mir viel schwerer vor, wenn man Vollzeit arbeitet und nebenher noch promoviert. Generell finde ich es wichtig, die jeweiligen Rahmenbedingungen einer anstehenden Promotion in Erfahrung zu bringen. Es ist ratsam, mit Leuten zu sprechen, die davor bei dem jeweiligen Doktorvater oder der Doktormutter promoviert hatten. Die Betreuung variiert nämlich ziemlich stark: meine Doktormutter hat zum Beispiel alles, was ich ihr zum Lesen schickte, gründlich durchgearbeitet und mir Feedback gegeben. Jedoch haben wir nie zusammen etwas publiziert. Im Gegensatz dazu gibt es auch einige Fälle, bei denen die DoktorandInnen nur zweimal im Jahr mit ihrem Doktorvater/-mutter gesprochen hatten. Es hängt also sehr von dem jeweiligen Betreuer und der Art und Weise, wie stark dieser einen selbst einbindet, ab.
Welche Vor- aber auch Nachteile sehen Sie in der Wissenschaft?
Das Tolle an der Wissenschaft ist, dass man sich mit Themen beschäftigt, die einen selbst interessieren und auch begeistern. An der Uni ist man total frei in dem was man tut, und das gefällt mir sehr gut. Jedoch muss einem diese Freiheit auch liegen. Denn mit der Freiheit geht ein hohes Maß an Eigenverantwortung einher. Ich persönlich sehe das als großes Plus. Die Herausforderung besteht generell darin, mit der Freiheit und Eigenverantwortung gekonnt umzugehen. Außerdem sollte man darauf achten, dass man sich nicht zu viel aufbürdet und somit Gefahr läuft, sich selbst auszubeuten – denn dazu neigen meiner Meinung nach viele WissenschaftlerInnen. Da man primär aus Eigeninteresse forscht, fällt es nicht immer leicht, sich selbst Grenzen zu setzen. Das Gefühl, immer mehr machen zu können, ist daher stark verbreitet und kann dazu führen, sich selbst schnell unter Druck zu setzen. Hier gilt es, eine Balance zu finden.
Sie machen nun Ihren Post-Doc bei GESIS. Welche Aufgaben übernehmen Sie dort?
Da ich nicht an der Uni arbeite und wie viele Post-Docs dort ein zweites Forschungsprojekt aufbaue, mache ich keinen typischen Post-Doc. Meine Stelle bei GESIS setzt sich aus 70% Service und 30% Forschung zusammen. Dabei bin ich hauptsächlich für die Betreuung von GastforscherInnen zuständig, was mir sehr gut gefällt. Wir von GESIS leiten verschiedene Forschungsprogramme für GastwissenschaftlerInnen, darunter auch das sogenannte EUROLAB- GRANT-Programm, für das ich verantwortlich bin. Konkret bedeutet das, dass ich von der Ausschreibung des Programms über den jeweiligen Auswahlprozess der einzelnen Kandidaten bis hin zu deren Betreuung hier bei GESIS alles übernehme. In der Regel wählen wir 10 GastwissenschaftlerInnen aus, deren Aufenthalt ich von Beginn an plane und koordiniere. Für die suche ich zum Beispiel nach passenden Ansprechpartnern, mit denen sie kooperieren können. Darüber hinaus berate ich sie aber auch zu methodischen und ggf. auch inhaltlichen Fragen. Ansonsten pflege ich unser Alumni-Netzwerk und treffe mich mit ehemaligen Gastwissen- schaftlerInnen auf Konferenzen, sofern sich das ergibt. Wenn ich möchte, kann ich auch bei den Methodentrainings, die GESIS anbietet, Kurse geben. Mein Job macht mir viel Spaß, aber ich sehe auch einen kleinen Nachteil: im Gegensatz zu der Arbeit an der Uni bin ich deutlich fremdbestimmter, was ich auch vermisse. Denn an der Uni kann man auch mal ein paar Tage am Stück an einem Paper oder einem Projekt arbeiten, dies geht hier nicht so gut.
Sie haben sich in Ihrer Dissertation mit Einstellungen zu demokratischen und autokratischen Systemen beschäftigt, die bei der Oxford University Press erschienen ist. Aktuell wird oft von der Krise der Demokratie und dem damit zusammenhängenden Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen gesprochen. Wie bewerten Sie die aktuellen politischen Entwick- lungen vor dem Hintergrund Ihres Promotionsthemas?
Als in Deutschland aufgewachsene Bürgerin, die in einer gut funktionierenden Demokratie sozialisiert wurde, habe ich einen stark ausgeprägten normativen Bias für die Demokratie. Das muss man sich bewusst machen. Ich sehe die Entwicklungen in Polen und Ungarn, in denen liberale und demokratische Elemente abgeschafft werden, mit Sorge. Tatsächlich sind diese Verschiebungen aber gar nicht so überraschend auf Basis dessen, was ich in meiner Arbeit herausgefunden habe. Die Hauptbotschaft meiner Diss lässt sich folgendermaßen zusammen- fassen: Grundsätzlich denkt man, dass Demokratien Autokratien moralisch überlegen seien. Die Ansicht, dass die Demokratie das beste System ist, und dass das alle auch so erkennen sollten, ist daher stark verbreitet. Weltweit halten zwar viele Menschen, wenn man sie fragt, die Demokratie für das beste System. Aber wenn man konkret die Einstellung der Bürgern dazu untersucht, ist es vielmehr so, dass Demokratien gar nicht signifikant besser abschneiden als Autokratien. Es gibt bei beiden Systemen große Bandbreiten, aber es gibt keinen bedeutenden Unterschied zwischen Demokratien und Autokratien hinsichtlich der Unterstützung. Autokratien erfahren teilweise oft mehr Zustimmung, was oft auf Messprobleme bei Umfragen in diesen Regimen zurückzuführen ist. In Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in Polen und Ungarn zeigte sich in meiner Arbeit, dass die Demokratie innerhalb der Bevölkerung in Osteuropa recht wenig Unterstützung erfährt. Somit stoßen autokratische Tendenzen in diesen Regionen auch auf weniger Widerstand als woanders.
Nun zu einem etwas anderen Thema: Frauen sind in der Wissenschaft – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität – unterrepräsentiert. Welches sind Ihrer Meinung nach die ausschlaggebenden Gründe dafür, dass sich viele gegen die Wissenschaft entscheiden?
Der Hauptgrund für mich persönlich, nicht in der Wissenschaft zu bleiben, war die Unsicherheit und die befristeten Beschäftigungsverhältnisse. Ich habe jetzt bei GESIS geregelte Arbeitszeiten und das gefällt mir gut – das ist in der Wissenschaft nicht immer gegeben. Ein anderer Aspekt ist sicherlich auch die stärkere Risikoaversion von Frauen. Einige Studien demonstrieren, dass sich Frauen insgesamt weniger zutrauen als Männer. Ich stelle auch fest, dass Frauen in der Wissenschaft oft das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein. Männer sind dagegen tendenziell selbstbewusster.
Was haben Ihre Kolleginnen im Doktorandenkolloquium nach der Promotion gemacht?
Abgesehen von einer Frau, die nun eine Ratsstelle an der Uni hat, haben alle Frauen, mit denen ich promovierte, die Uni verlassen. Die meisten sind im Bereich Wissenschaftsmanagement und damit in einem forschungsnahen Bereich gelandet. Ein paar arbeiten zum Beispiel beim Statistischen Bundesamt, eine andere ehemalige Kollegin bei der EZB. Für die meisten ist nach der Promotion die berufliche Sicherheit ist dann doch ein sehr wichtiger Faktor. Viele versuchen daher, eine entfristete Stelle im öffentlichen Sektor zu bekommen. Von den Männern haben sich übrigens auch viele gegen die Unikarriere entschieden. Das ist also geschlechtsunabhängig.
Einige sind der Meinung, dass es insbesondere Frauen an Vorbildern in der Wissenschaft fehlt. Was meinen Sie dazu?
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob es wirklich an Vorbildern mangelt. Während meiner Studienzeit war die Hälfte meiner Professorinnen weiblich. Ich denke daher nicht, dass es unbedingt an Vorbildern mangelt. Unter den Professorinnen, die ich kannte, hatten ein paar auch Kinder. Man kann also beides schaffen – Professorin sein und Familie haben. Generell glaube ich nicht, dass eine Entscheidung gegen die Wissenschaft im universitären Bereich unbedingt mit dem Geschlecht zusammenhängt. Es ist vielmehr eine persönliche und bewusste Entscheidung für einen anderen Lebens- und Karriereweg. Viele möchten unter den prekären Bedingungen an der Uni nicht arbeiten – Frauen wie Männer. Meiner Meinung nach steckt hinter der Aussage „Ich würde ja gerne, kann aber nicht“ oft der Gedanke „Ich möchte es persönlich nicht“.