“Lassen Sie sich nicht von anderen vereinnahmen!”
13. August 2024Wie sind Sie zur Wissenschaft gekommen und wann kam der Wunsch bei Ihnen auf, Professorin zu werden?
Der Wunsch, eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen, hat sich bei mir schrittweise entwickelt. Wie viele meiner damaligen Kommiliton*innen wollte ich ursprünglich Journalistin werden. Im Gegensatz zur Schule, in die ich ziemlich ungern gegangen bin, eröffnete sich mir in der Universität eine ganz neue Welt, die mich faszinierte. Ich war von Beginn an von der Uniatmosphäre, der Diskussionskultur, insbesondere aber von der Möglichkeit, selbständig Fragestellungen zu entwickeln und diese systematisch zu bearbeiten, total begeistert. Im Vergleich zu meiner eher konservativ geprägten Schule, bei der die Antwort meist vor der Unterrichtsstunde feststand, lag der Fokus bei der Uni auf dem selbständigen Arbeiten, das mir sehr gut gefiel. Meine Diplomarbeit machte ich mir so viel Freude, sodass ich weitermachen und promovieren wollte. Die Idee, in der Wissenschaft zu bleiben, entstand dann während meiner Promotion. Dies lag sicherlich auch an den Menschen in meinem Umfeld, insbesondere auch an meiner Doktormutter, Katharina Holzinger.
Wie bei vielen anderen entwickelte sich bei mir der Wunsch, in der Wissenschaft zu bleiben, also schrittweise. Meiner Meinung nach muss man erstmal das wissenschaftliche Arbeiten kennenlernen und seine Erfahrungen damit machen. Erst wenn man Paper schreibt, den Review-Prozess durchläuft und auch den einen oder anderen Rückschlag erlebt, findet man heraus, ob man diesen Weg wirklich einschlagen will. Das ist kein Plan, der von Beginn des ersten Semesters an feststeht.
Als Professorin haben Sie viele verschiedene Aufgaben: Lehre, Forschung, Drittmittel-einwerbung, die Betreuung von Studierenden und Doktorand*inne und administrative Tätigkeiten. Außerdem sind Sie noch in verschiedenen Gremien tätig und u.a. Sprecherin von dem Arbeitskreis Analytische Politische Theorie der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW). Wie bekommen Sie all diese Aufgaben unter einen Hut?
Generell ist das eine Herausforderung, vor der alle Professorinnen und Professoren stehen. Man muss daher seine eigene Strategie entwickeln, um diese verschiedenen Aufgaben vereinbaren zu können. Mir ist es wichtig, effizient zu arbeiten und sich bei den verschiedenen Tätigkeiten auch die Frage nach dem Grenznutzen zu stellen. Anders ausgedrückt: sich zu fragen, wann zusätzlicher Einsatz keinen weiteren Ertrag mehr bringt. Ich habe für mich herausgefunden, dass die Zusammenarbeit mit anderen Co-Autor*innen sehr gut funktioniert. Bevor ich alleine im stillen Kämmerlein lange über einer Frage brüte und nicht weiterkomme, tausche ich mich lieber mit anderen darüber aus. Gleichzeitig ist es für mich aber auch wichtig, auch mal längere Zeit und ohne Unterbrechungen an einer Aufgabe sitzen zu können. Hierfür schließe ich dann für einige Stunden sowohl mein E-Mail Postfach als auch meine Bürotür, um konzentriert und in Ruhe an einer Sache zu arbeiten. Schließlich muss in den wenigsten Fällen eine Mail sofort beantwortet werden.
Sie forschen zu Themen wie Demokratie- und Gerechtigkeitstheorie sowie Public Policy. Wie sind Sie zu Ihren Forschungsschwerpunkten gekommen?
Die Entwicklung von Forschungsschwerpunkten ist auf jeden Fall auch vom Standort abhängig und von Personen, denen man zum richtigen Zeitpunkt begegnet. Zum Beispiel war an meiner Universität die Methodenausbildung damals noch eher überschaubar. Meine Ausbildung in diesem Bereich reichte also erstmal nicht aus, um hier einen Forschungsschwerpunkt zu setzen. Geprägt und beeindruckt hat mich hat zu Beginn meiner Laufbahn der bereits verstorbene Michael Greven, der in Hamburg die Professur für Politische Theorie innehatte. In diesem Umfeld mit Katharina Holzinger und Michael Greven habe ich mich dann in Richtung einer empirisch anschlussfähigen analytischen politischen Theorie entwickelt und nach meiner Promotion eine Nachwuchsgruppe für ein theoriegeleitetes empirisches Projekt zur Verteilung von Gesundheitsgütern eingeworben.
Mein Schwerpunkt wurde später auch durch meinen Ruf nach Mainz, an ein Institut mit starkem Fokus auf die empirische Demokratieforschung, beeinflusst. Zum Beispiel untersucht mein derzeit wichtigstes Projekt die Demokratiekonzeptionen von Bürger*innen und damit eine normativ relevante Fragestellung, die gleichzeitig auch empirisch untersucht wird. Auch hier setze ich auf die Kooperation mit anderen: meine Co-Autor*innen sind eher für die empirischen Analysen zuständig, während ich eher die Theorie und Kontextualisierung übernehme. Durch das Zusammenführen komplementärer Skills in einem Autorenteam entstehen tolle Synergieeffekte.
Nichtsdestotrotz habe ich ein Grundthema, das sich seit meiner Diplomarbeit durchzieht und welches ich aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Methoden untersuche. Dieses lässt sich mit den folgenden Fragen zusammenfassen: welche Effekte haben Entscheidungsverfahren auf resultierende Entscheidungen und Verteilungsergebnisse? Welche Implikationen haben diese Effekte für Präferenzen über alternative Entscheidungsverfahren und für die Ausgestaltung von Institutionen?
Welches war eine der größten Herausforderungen Ihrer Laufbahn? Und wie haben Sie diese gemeistert?
Die ersten zwei Jahre nach meiner Berufung stellten die bisher größte Herausforderung dar. Als ich berufen wurde, hatte ich zwei sehr kleine Kinder, mein jüngster Sohn war damals erst drei Monate alt. Hinzu kommt, dass ich an meinem Institut die einzige Professorin in dieser Situation war. Ich musste mir also das Verständnis dafür erstmal einfordern. Die ersten zwei Jahre waren dementsprechend hart: ich wollte meine neuen Aufgaben als Professorin wie die Entwicklung eines Lehrprogramms oder die Betreuung von Mitarbeiter*innen ordentlich erfüllen und hatte gleichzeitig zwei kleine Kinder, die nachts oft nicht durschliefen. Kurz gesagt: ich ging auf dem Zahnfleisch. Wie ich das gemeistert habe? Ich habe diese Phase irgendwie durchgestanden. Ohne meinen unterstützenden Partner wäre das aber kaum möglich gewesen. Den besten Tipp, den ich damals bekam und der mir persönlich geholfen hat, war, Absagen nicht zu rechtfertigen. Wenn man seine Kinder aus der Kita abholen muss und deshalb nicht an einer Sitzung teilnehmen kann, sollte man also nicht sagen “Ich kann nicht, weil ich die Kinder abholen muss“, sondern einfach „Ich kann nicht“. Wenn man sich rechtfertigt, kommen oft Nachfragen wie „Wieso fragst du nicht einfach einen Babysitter, der das übernehmen kann?“. Als ob das immer so einfach wäre. Man muss da also nicht verhandelbare Grenzen setzen und auch mal mit negativen Reaktionen umgehen können. Generell möchte ich aber hervorheben, dass die Wissenschaft ein sehr familienfreundlicher Beruf ist, der einem ein hohes Maß an Flexibilität und Autonomie bietet. Ich kenne in meiner Generation sehr viele Professorinnen, die Kinder haben.
Zu guter Letzt: Gibt es einen Tipp, den Sie jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen geben möchten?
Ein wichtiger Tipp, den ich vor allem Frauen geben möchte, lautet wie folgt: lassen Sie sich von anderen nicht vereinnahmen – weder vom Doktorvater/ der Doktormutter, noch von sonst irgendjemandem. Entscheidend ist, dass Sie Ihre eigene Forschungsagenda entwickeln, Vertrauen in die eigene Kreativität haben und früh eigene Projekte einwerben. Kurz gesagt: ich rate dazu, das eigene Ding zu machen. Außerdem muss man Spaß an der Sache haben – nicht an jedem einzelnen Tag und an jeder einzelnen Aufgabe, aber insgesamt muss das wissenschaftliche Arbeiten Spaß machen. Wenn die Arbeit zur Qual wird, sollte man auf jeden Fall lieber einen anderen Weg gehen.