“Produzieren Sie keine halbgaren Paper!”
02. April 2021Sie sind seit 2007 Präsidentin am Wissenschaftszentrum in Berlin für Sozialforschung (WZB) sowie Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität. Wie bekommen Sie zwei so verantwortungsvolle Ämter unter einen Hut?
Die großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen berufen ihre Leitungspersonen gemeinsam mit einer Universität. Es handelt es sich um Sonder- oder Honorarprofessuren. Dadurch werden die Einrichtungen mit den Universitäten verbunden, was für den Austausch von Wissen und Personal sehr förderlich ist. Die Leitungspersonen der außeruniversitären Institute erhalten den formalen Status einer Professorin oder eines Professors. Es gibt allerdings einen großen und auch in meinem Fall entscheidenden Unterschied. Das Lehrdeputat wird massiv reduziert auf nur zwei Wochenstunden im Semester. Ich beschreibe das alles, um zu zeigen, dass ich eine Hauptaufgabe habe, die Leitung des WZB. Zudem darf ich lehren, besitze das Prüfungsrecht. Das ist ein großes Privileg und gleichermaßen eine Notwendigkeit. Die beiden Ämter passen unter einen Hut – und sie gehören unter einen Hut.
Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach wichtig, um sowohl als Präsidentin des WZB als auch als Professorin erfolgreich zu sein?
Ich würde das nicht gleichsetzen. Als Universitätsprofessorin sehe ich es als meine Aufgabe, die Studierenden für ihr Fach zu interessieren, dazu beizutragen, dass sie das oft theoretische Wissen umzusetzen vermögen und verstehen, wie wichtig und breit einsetzbar es für ihren zukünftigen Werdegang ist. Hierzu gehört, dass ich Ihnen Einblicke in meine Forschung und Kontakte zu meinen Netzwerken gebe, sie herausfordere, ihre Meinung zu entwickeln, zu hinterfragen, durchzusetzen.
Als Präsidentin des WZB brauche ich viel Übersicht. Ich muss wissen, was wissenschaftspolitisch auf den Agenden verantwortlicher Akteure steht. Ich muss das WZB in Berlin platzieren, im Konzert von mehr als 50 weiteren Instituten. Ich muss mich einsetzen für die Bedeutung der Wissenschaft im Allgemeinen. Dazu gehört, dass wir unsere Ergebnisse zu den Menschen bringen und nicht darauf warten, dass sie zu uns kommen. Natürlich muss ich auch Menschen mitnehmen, ihre Ideen hören und miteinbeziehen. Gemeinsam ist beiden Positionen, dass sie viel intrinsische Motivation brauchen, Begeisterung bei mir erzeugen können, ich für die Aufgaben brenne.
Sie haben viele renommierte Auszeichnungen erhalten, wie zum Beispiel den Schader-Preis, die Ehrendoktorwürde der Universität Tampere, das Bundesverdienstkreuzes erster Klasse der BRD und die Marsilius-Medaille. Außerdem zählen Sie laut FOCUS zu den Top 100 Frauen im Jahre 2020. Welche Bedeutung haben diese Auszeichnungen für Sie? Und über welchen Preis haben Sie sich besonders gefreut?
Ich freue mich über jeden einzelnen Preis. Es gibt ja drei Sorten. Auszeichnungen, für konkrete Arbeiten, die man einreicht. Meine Arbeit über die Revolution von 1848 und das Wirken von Kotzebue ist ein Beispiel. Ich habe sie mit anderen als Schülerin im Rahmen des Preises des Bundespräsidenten eingereicht. Der Preis: Vier Tage schulfrei, ein Besuch im Stuttgarter Parlament. Das war cool. Auch die Preise für meine Diplomarbeit oder meine Dissertation gehören dazu. Später schrieb ich dann an einer Orchesterstudie, über deren Auszeichnung ich mich auch sehr freute. Dann gibt es Auszeichnungen, die aus Zeitgutscheinen bestehen wie Einladungen an Wissenschaftskollegs oder in das Thomas Mann Haus in Kalifornien. Diese Zeiten führten dazu, dass ich neue Arbeitsfelder für mich entdecken durfte. Und dann gibt es natürlich Auszeichnungen, die sich auf mein Lebenswerk und mein Engagement beziehen. Diese Preise sind für mich auch wichtig, da man im Tagesgeschäft oft den Eindruck hat, sich viel zu engagieren, Rückgrat und Mut braucht, ohne vielleicht zunächst einen Unterschied zu machen. Und wenn dann ein Schreiben des Bundespräsidenten kommt, der Schader- oder Communicator Preis verliehen wird, dann sehe ich, dass andere meinen Einsatz schätzen. Das tut gut.
Welches war Ihre größte berufliche Herausforderung? Und wie haben Sie diese gemeistert?
Ich hatte einmal ein ungewöhnliches Bewerbungsverfahren zu bestehen. Es bestand darin, dass eine Professur ausgeschrieben wurde, die weggefallen wäre, hätte ich mich nicht gegen die anderen Bewerberinnen oder Bewerber durchgesetzt. Das war hart, hat mich verunsichert.
Frauen sind im akademischen Bereich – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität – unterrepräsentiert. Studien zufolge ist z.B. nur jede vierte Professur in Deutschland von einer Frau besetzt. Wie bewerten Sie das als Bildungssoziologin und Mutter eines Sohnes? Und welches sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen dafür?
Ach, die Gründe sind ja seit langem bekannt. Der Weg hin zur Professur ist lang und voller Unwägbarkeiten. Zuerst die Phase der Dissertation, meist keine vollen Stellen, so gut wie immer befristet. Danach die Phase als Postdoc, die Habilitation. Wieder befristet. Wenn eine entfristete Professur angeboten wird, muss man regional mobil sein. Das ist nicht gerade familienfreundlich, da hat man es in anderen Berufen leichter. Und dann die ganzen Stereotype. Kinder gehören zu den Müttern, Mütter leisten weniger als Väter. Nicht zu vergessen die seltsam uneinheitlichen Quotierungen. Jede Kommission braucht eine Frau. Es ist eine giftige Anerkennung. Denn Kommissionen verschlingen Zeit, die frau für das wissenschaftliche Arbeiten dann nicht mehr hat. Ich bezeichne das als eine Art cooling out. Denn bei Berufungen wir dann doch nur die Forschungsleistung bewertet.
Welches war der sinnvollste Ratschlag, den Sie während Ihrer Laufbahn bekommen haben? Und welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen mit auf den Weg geben?
Mein Doktorvater gab mir den ersten Entwurf meiner Dissertation in einem Umschlag zurück. Darin zerrissene Seiten. Und ein lakonischer Kommentar: „You can do better than that,“ Das hat mich vor vielen halbgaren Artikeln bewahrt.