“Akzeptieren Sie niemals Widerstände und verbiegen Sie sich nicht!”
11. Februar 2021Sie sind seit 2011 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hildesheim und haben u.a. 2019 den Preis für hervorragende Forschung erhalten, insbesondere für Ihre Forschung im Bereich Internet und Politik. Was macht für Sie gute Forschung aus?
Gute Forschung richtet sich zum einen an den gängigen Qualitätsstandards aus, d.h. die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis werden befolgt und vollständig beherrscht. Zum anderen leistet gute Forschung einen substantiellen Erkenntnisgewinn und fördert den wissenschaftlichen Diskurs. Für mich geht es dabei nicht nur um die Klärung aktueller und relevanter Forschungsfragen, sondern auch um die Gesellschaft im Allgemeinen und die politisch Handelnden. In meiner Forschung folge ich meinen eigenen Interessen, orientiere ich mich aber auch an Forschungslücken, gerne auch an Forschungsfragen, die noch Raum zur Erforschung lassen. Der Bedarf an Erkenntnissen jenseits des wissenschaftlichen Diskurses spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn als Wissenschaftlerin ist es für mich von besonderer Bedeutung, in die Gesellschaft hineinzuwirken und die Brücke zwischen akademischem und gesellschaftlichem Diskurs zu schlagen.
Publikationen sind ein wesentlicher Bestandteil im Alltag einer Professorin, Sie selbst haben viel publiziert. Haben Sie eine Publikationsstrategie? Oder wie gehen Sie bei Ihren Veröffentlichungen vor?
Das Publizieren war immer zentral in der Wissenschaft, aber diese strategische Herangehensweise beim Publizieren ist eher eine neuere Erscheinung. Vor zwanzig Jahren etwa war es üblich und auch angesehen, in Sammelbänden zu publizieren. Gerade nach Konferenzen und Workshops war es für junge WissenschaftlerInnen erstrebenswert, in einem Sammelband zu erscheinen. Heute dagegen sind Sammelbände nicht mehr angesehen, sondern eher ein Relikt einer vergangenen Ära. Es gilt heute vielmehr, in gut gerankten nationalen und internationalen Journals zu publizieren und seine Publikationsstrategie danach auszurichten. Auch ich habe mich dieser Entwicklung angepasst und schreibe nicht mehr Monographien oder Beiträge für Sammelbände, sondern Aufsätze für internationale Journals. Man sollte nur darauf achten, diese überwiegend als US-amerikanisch perzipierten Standards nicht falsch zu bewerten. Es ist in den als Maßstab hergenommenen USA durchaus weiterhin so, dass Monographien verfasst werden.
Sie waren lange im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DVPW), sind seit 2014 im Vorstand der International Political Science Association (IPSA) und wurden 2018 dann zu deren Präsidentin gewählt. Des Weiteren sind Sie noch Gründungsdirektorin des Zentrums für digitalen Wandel, Mitgründerin und Mitherausgeberin der "Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft" sowie Mitglied in anderen Beiräten wie z.B. dem der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie bekommen Sie Lehre, Forschung, Einwerbung von Drittmitteln sowie all die anderen Ämter unter einen Hut?
Um es auf den Punkt zu bringen: indem man sehr viel arbeitet und viel Zeit hineinsteckt! All diese Ämter erfordern neben meinen Aufgaben als Professorin viel Einsatz und damit viel zusätzliche Arbeit und Verantwortung. Aber es lohnt sich! Ich schätze bei all meinen Ämtern insbesondere die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich dort bieten. Denn auch wenn es von außen betrachtet eher kleine Dinge sind, sollte man nie unterschätzen, was auch kleine Veränderungen für neue Folgeschritte anstoßen können, die im Großen und Ganzen wiederum etwas bewegen. In meinen Ämtern ziele ich darauf ab, Dinge zu verändern und vor allem zu verbessern – gerade auch in Hinblick auf NachwuchswissenschaftlerInnen. Außerdem finde ich es wichtig, als Frau solche Führungspositionen inne zu haben und aktiv mitzugestalten. Denn nur so kann Geschlechtergerechtigkeit durchgesetzt und der anhaltenden strukturellen Benachteiligung entgegengewirkt werden.
Wissenschaft und Familie zu vereinbaren gilt oft als eine Herausforderung. Welche Erfahrungen haben Sie als Professorin und zweifache Mutter gemacht?
Ich habe keine lineare akademische Laufbahn gemacht, sondern arbeitete nach meiner Promotion als Journalistin bei der FAZ und anschließend als Redenschreiberin im Planungsstab des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, bevor ich Professorin wurde. Meine Kinder bekam ich während meiner Zeit im Bundespräsidialamt – ich war die erste Frau in dieser Position, die in dieser Institution schwanger wurde! Das Problem war jedoch, dass es damals (Anfang der 2000er!) noch keine Kitas und kaum Kinderbetreuung in Deutschland gab. Mein Mann und ich haben uns die Kindeserziehung aufgeteilt, aber das war überhaupt nicht einfach. Als berufstätige Mutter bin ich außerdem auf viel Widerstand gestoßen: die Tatsache, dass ich trotz meiner Kinder meinen Beruf weiter ausgeübt habe, wurde oft kritisiert – auch von meinem Umfeld. Aber ich freue mich sehr, dass sich das verändert hat! Durch das Elternzeitgesetz, durch die Schaffung von Kitas etc. ist das heutzutage deutlich besser geworden - das ist großartig! Als ich mich dann um Professuren bewarb, waren meine Kinder acht und zehn Jahre alt. Ich konkurrierte also mit Männern und Frauen, die keine Erziehungsarbeit geleistet haben oder nicht leisten mussten. Das heißt, dass ich einen Nachteil gegenüber meinen Mit-bewerberInnen hatte, da ich u.a. auf weniger Konferenzen teilgenommen hatte. Es bedeutete enorme Anstrengungen für mich, in dieser Situation eine Professur zu erlangen.
Wird Kindeserziehung von Berufungskommissionen heutzutage berücksichtigt?
Nein, das würde ich nicht so sehen. Leider. Es hat sich vieles verbessert, aber definitiv nicht genug – vor allem nicht für jene, die noch ohne Kitas ihre Kinder erzogen haben. Im Nachhinein empfinde ich es als einen Kampf, den man als Wissenschaftlerin mit Kindern kämpfen muss, um dort anzukommen, wo ich bin. Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten.
Welchen Ratschlag würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen heute geben?
Ich habe während meiner Laufbahn überwiegend meinem Instinkt vertraut und das getan, wofür ich brannte – auch wenn es herausfordernd war. Aus diesem Grund würde ich folgendes raten: Akzeptieren Sie niemals Widerstände! Geben Sie niemals etwas auf, wofür Sie brennen und verbiegen Sie sich nicht.